Sternquell / Verein

Reichenbacher Tafel e.V. Verein des Monats Juni - Plauen, 15. Juli 2011: Knapp 900 Menschen sind in Reichenbach, Lengenfeld und Netzschkau auf die Hilfe der Lebensmitteltafel angewiesen. Tendenz steigend. 50 Ehrenamtliche sorgen dafür, dass Brot, Molkereiprodukte, Wurst, Obst und Gemüse bei ihnen ankommen. Doch damit nicht genug.

Es gehört schon eine gehörige Portion Optimismus und Lebensmut dazu, wenn man angesichts dieser Zahlen das Lachen nicht verlernt hat: 884 „Kunden“ zählt die Reichenbacher Tafel in diesem Jahr, knapp die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Vor zwei Jahren war es noch gut die Hälfte. Gudrun Schimmel, Vorsitzende des Vereins Reichenbacher Tafel, gesteht: „Es fällt schwer, daran zu glauben, dass diese Zahlen nicht noch weiter wachsen.“ Und dann kommt der Optimismus zum Vorschein: „Aber es gibt ja auch Lichtblicke. Ehemalige Kunden, die den Schritt zurück zu einem vernünftigen Einkommen geschafft haben und nicht mehr zu uns kommen müssen.“
Seit 2003 ist die Tafel in der Neuberinstadt ein eigenständiger Verein, Gudrun Schimmel seitdem die „Chefin“. „Dieses Wort mag ich überhaupt nicht“, sagt sie lachend. Man glaubt es ihr sofort. Für eine solche Rollenverteilung ist auch überhaupt kein Raum im Verein. Gemeinsam mit ihren drei Vorstandskolleginnen Beate Werner, Petra Beek und Petra Düntsch verwaltet sie die Tafel ehrenamtlich. „Es gibt einige Stiftungen und Förderprojekte, von denen wir ein paar Euro Aufwandsentschädigung bekommen. Aber der reine Betrieb der Tafel wird über Spenden gesichert.“
Und diese Spenden kommen nicht nur etwa von solventen Unternehmen, sondern von den Kunden selbst. „Wer zu uns kommt, muss zunächst einen Einkommensnachweis vorlegen. Es gibt klare Vorgaben, wer bei uns Lebensmittel bekommt und wer nicht. Diese Ammenmärchen, von Luxusautos die bei der Tafel vorfahren, sind völliger Blödsinn. Unsere Kunden bekommen von uns einen Tafelausweis, dem die Bedüftigkeitsgrenzen zugrunde liegen und auf dem vermerkt ist ob sie allein stehend sind oder Kinder haben. Vor dem Einkauf geben sie dann ihre Spende ab, meist zwei Euro. Dann suchen sie gemeinsam mit einem unserer Helfer die Lebensmittel raus“, erklärt Schimmel.
Die Lebensmittel kommen vor allem von Supermärkten. „Wir haben zwei LKWs, die jeden Tag mehr als 200 Kilometer fahren. Mit den Supermärkten haben wir Verträge, damit alle Seiten rechtlich abgesichert sind.“ Planen lässt sich dabei nur schwer. „Die Märkte versuchen natürlich, so viel wie möglich ab zu verkaufen. Deshalb müssen wir die Waren auch manchmal rationieren. Bei Milch zum Beispiel haben Familien mit Kindern Vorrang.“

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Willkommen sind auch private Spenden. „Nach dem Schulanfang bringen manche Eltern Süßigkeiten zu uns, die das eigene Kind nicht mag oder nicht allein schafft. Auch Kleingärtner bringen immer wieder mal etwas vorbei. Wir sind dankbar für jede noch so kleine Unterstützung.“ Nur beim Personal ist der Verein wählerisch. „Hier braucht man absolutes Vertrauen. Der Umgang mit unseren Kunden ist sehr sensibel. Das kann nicht jeder.“
Und wo liegt nun das Hauptproblem im Sozialstaat? „Es läuft wirklich sehr vieles falsch. Selbst viele mit Arbeit können von ihrem Einkommen nicht leben. Dazu kommen allein stehende Rentner, bei denen die Rente vorn und hinten nicht reicht. Und immer mehr Kinder und Jugendliche. Der Weg zur Tafel ist kürzer als viele glauben. Wer heute seine Arbeit verliert, ist wahrscheinlich spätestens in zwei Jahren auf uns angewiesen.“ Und noch ein Problem liegt ihr auf der Seele: „Die Unterstützung für Ehrenamtliche wird immer weniger, sollte sich dieser Trend fortsetzen, ist die Arbeitsfähigkeit der Tafeleinrichtung gefährdet.  Dabei braucht die Gesellschaft doch diese Helfer.“

Mit der Ausgabe von Lebensmitteln ist die Arbeit des Vereins längst nicht getan. „Man ist auch die gute Seele für die Kunden. Manche müssen einfach reden, bei anderen fließen Tränen. Aber es tut gut zu wissen, dass man helfen kann.“
Ein ambitioniertes Projekt der Reichenbacher Tafel ist das „Sprachcafé“ im Haus der Vereine. Vor allem Menschen mit Migrationshintergrund sind eingeladen, die deutsche Sprache in lockerer Umgebung besser zu lernen, und sich untereinander auszutauschen, um eine bessere Integration in das gesellschaftliche Leben von Reichenbach zu ermöglichen.

Ziel des Sprachcafes ist, auf  Ende des Jahres ein Kochbuch mit der jeweiligen Lebensgeschichte der Teilnehmer  und natürlich den liebstes Kochrezepten zu veröffentlichen.
Mit diesem Projekt hat sich der Verein auch um den Sternquell-Vereinsmeier 2011 beworben.
„Es ist aber nicht ganz einfach. Vieles müssen wir erst selbst übersetzen. Außerdem suchen wir noch Menschen mit Migrationshintergrund die im Projekt mitwirken möchten.“

Zwei Wünsche haben die vier Damen noch: „An Weihnachten würden wir unseren Kunden gern eine echte Weihnachtsgans anbieten, mit allem was dazu gehört. Vielleicht findet sich ja jemand, der uns da unterstützt. Und dann wünschen wir uns, dass wir irgendwann keine Kunden mehr haben. Und die Menschen wieder von ihrem Einkommen leben können und uns nicht mehr brauchen.“

Gäste des Sprachcafés und Mitarbeiterinnen der Reichenbacher Tafel in gemütlicher Runde. Foto: Verein

 

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